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Wettlauf auf der letzten Meile

Im Wettbewerb um den Kunden in einer digitalisierten und durchelektrifizierten Welt haben die Stadtwerke harte Konkurrenz, aber auch gute Chancen, wie Marco Demuth von Beegy meint.
Alles ist digital und die letzte Meile elektrifiziert – so blickt eine ganze Reihe von Energiedienstleistern derzeit auf die Branche. Auf der letzten Meile gehen Kunde und Energieversorger – manche nennen sich jetzt auch Lebensraum-Manager – eine mehr oder weniger enge Beziehung ein, die für den Lieferanten idealerweise eine Dauerschuldbeziehung darstellt. Nicht einfach nur dem Trend folgen und eine PV-Anlage mit Speicher verkaufen, um den Kunden bei seinen Autarkiebemühungen zu unterstützen. Nicht nur ein einmaliger Umsatz, sondern eine dauerhafte Kundenbeziehung, durchaus auch mit Industrie übergreifenden Anknüpfungspunkten, die sich über die Energieversorgung integrieren lassen – so sieht auch Marco Demuth die künftige Energiewelt vor.

„Vielen kommunalen Unternehmen fehlt noch die Courage“

Der Geschäftsführer der Beegy GmbH, an der neben der Mannheimer MVV Energie noch BayWa renewable energy und der irische Heiz- und Kühlsystemhersteller Glen Dimplex beteiligt sind, ist überzeugt, dass die Stadtwerke prädestiniert sind, die letzte Meile zu „integrieren und orchestrieren“.

 

Wer übernimmt die Federführung auf der letzten Meile? Hier stehen die Stadtwerke mit einer Reihe anderer Unternehmen im Wettbewerb
Grafik: Beegy

„Unserer Einschätzung nach hat ein Stadtwerk den besten Zugang zum Kunden“, sagt Demuth. „Es genießt bei ihm fast grenzenloses Vertrauen.“ Trotzdem fehle vielen kommunalen Unternehmen noch die Courage, Industrie übergreifende Allianzen einzugehen. Die seien allerdings notwendig in einem Zeitalter, in dem Plattformbetreiber wie Google, Amazon oder Facebook sich anschicken, den Kunden in allen Lebenslagen auf ganz bequeme Weise mit Dienstleistungen zu beglücken. Von der reinen Unterhaltung über den Lebensmitteleinkauf bis hin – wie im Fall der Google-Schwestergesellschaft Nest – zu ersten Energiedienstleistungen reichen mittlerweile die Angebote. In diesem Fahrwasser, ist sich Demuth sicher, werde der Trend zur Integration verschiedener Services und die durchgehende Digitalisierung solcher Wertschöpfungsketten zum Standard. Und die Stadtwerke seien in der Lage, diese Wertschöpfungsketten aus den verschiedenen Industriezweigen beim Kunden zusammenzuführen, betont er. Auch bei der Konferenz-Messe Beegy Connect unter dem Motto „Energy meets IT“ am 20. Juli in Mannheim wird die integrative Rolle der Stadtwerke intensiv diskutiert werden.
 

 
Beegy-Geschäftsführer Marco Demuth: „Unserer Einschätzung nach hat ein Stadtwerk den besten Zugang zum Kunden“
Bild: Beegy

 

Strom, Gas, Wasser, Wärme und mittlerweile auch die Telekommunikation sind typische Betätigungsfelder der Energieversorger. „Eigentlich low interest“, meint der Beegy-Manager. Also keine stabile Basis, um eine fruchtbare und zukunftsorientierte Kundenbindung aufzubauen. Zwar sind beim Kauf einer PV-Anlage und eines Speichers in der Regel sehr bewusste und kalkulierte Entscheidungen des Kunden im Spiel, also eher „high interest“. Dann ist es aber mit der dauerhaften Beziehung zum Lieferanten nicht weit her. In Kombination mit der Elektromobilität, mit Handwerksdienstleistungen, mit Liefer- und Car-Sharing-Unternehmen und vielleicht auch mit Finanzdienstleistungen ergebe sich schon ein anderes Bild. Wie er sich das vorstellt, beschreibt Demuth so: „Eine Versicherungsgesellschaft, die einem Kunden eine Lebensversicherung auszahlt, kann ihn vorher darauf hinweisen, dass er das Geld wieder in einem Fonds mit 2,5 % Rendite anlegen kann. Sie kann ihm aber auch den Vorschlag einer Energieautonomie über die nächsten 20 Jahre machen.“ Der – wie es neudeutsch heißt – Enabler solcher Modelle, könnte ein Stadtwerk sein. Das Energiemanagement, die Vermarktung von Flexibilitäten und die Mengenoptimierung über den Energiehandel, so dass das Stadtwerk auch eine Flatrate anbieten kann, könnte der White-Label-Anbieter Beegy beisteuern.

Da liegt der Gedanke nahe, das Netzwerk noch zu erweitern. Die tägliche Essenslieferung könnte Vertragsbestandteil sein und natürlich die üblichen Medienangebote – gleichgültig ob digital übermittelt oder in der Zukunft, je nach Örtlichkeit physisch mit einer Drohne wenige Stunden nach der Bestellung zugestellt.

„Die Uhr tickt“ steht über der Folie einer Beegy-Präsentation mit dem „Organismus Eigenheim“. Auf einer Folie davor verschränkt Tesla-Gründer Elon Musk im schwarzen T-Shirt die Arme und fragt den Betrachter nach dem Stand der Vorbereitungen auf das Dasein als Prosumer, auf Vernetzung und Digitalisierung, auf das Teilen von Energie. Es klingt wie eine Herausforderung. So will es Demuth auch verstanden wissen. Die Energieversorger müssten schnell entscheiden und handeln, sonst könnten sie ihre Kunden an die Visionäre aus dem Silicon Valley oder an eine neue Generation von Energieversorgern, die sogenannte Communities aufbauen und eigentlich gar keine Energieversorger mehr sein wollen, verlieren. Weitere mögliche Wettbewerber: Die Automobilhersteller. Denn die Entscheidung für ein Auto ist nach Demuths Auffassung oft sehr emotional. „Dann fragt der Kunde nicht erst nach dem Speicher und der PV-Anlage, sondern nach den technischen Daten des Fahrzeugs.“ Wenn dann ein Anbieter auch noch den Speicher und einen Deal mit einem PV-Anlagen-Hersteller einrechnet, könnten die EVU schnell das Nachsehen haben.

So oder so werde die letzte Meile elektrifiziert sein. Ob es sich um die Elektrofahrzeugzustellung der Post oder des Pizzadienstes handelt, ob es um das E-Bike oder die Wärmepumpe geht. Angesichts Fassaden-PV und Dachziegeln mit Solarzellen, die nach und nach auf den Markt kommen, ist Demuth sicher, dass es zu einem „großzügigen Stromangebot“ kommen werde, das viele Chancen zum Kundenkontakt biete. Im badischen Walldorf testet der Energiedienstleister derzeit ein intelligentes Netz, mit dem 38 Haushalte, die unter anderem auch Wärmepumpen einsetzen, verbunden sind. In einem anderen Projekt in Mannheim sollen Nachspeicherheizungen auf ihre Tauglichkeit als Pufferspeicher und Systemdienstleister untersucht werden. Mieterstromprojekte werden in Kürze folgen.

Fritz Wilhelm

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