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Bei Sonnenfinsternis tappen Netzbetreiber im Dunkeln

Nur bei großen Solaranlagen über 100 kW wird die Einspeiseleistung aktuell gemessen, bei allen anderen muss geschätzt werden. Im Notfall können nur Anlagen ab 30 kW fernabgeschaltet werden. Kleinere Anlagen machen, was sie wollen.
Die Sonnenfinsternis am 20. März und ihre Auswirkung auf das Stromsystem sind auch ein Informationsproblem. Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber haben auf die meisten kleineren Photovoltaikanlagen keinen Online-Zugriff und können deshalb die aktuelle Stromproduktion der Anlagen nur hochrechnen oder schätzen. Außerdem geben Verteilnetzbetreiber die vorhandenen aktuellen Daten nicht an die Übertragungsnetzbetreiber weiter. Diese unklare Informationslage trägt dazu bei, dass die Übertragungsnetzbetreiber immer mal wieder von besonderen Wetterlagen überrascht werden und keinen hundertprozentigen Überblick über die tatsächliche aktuelle Solar-Erzeugung haben.

„Online wissen wir eigentlich gar nichts über die aktuelle Produktion der Photovoltaikanlagen“, sagt Sven Pienitz, Prokurist beim Verteilnetzbetreiber Allgäu Netz in Kempten. Direkt an der Anlage wird die aktuelle Einspeisung nur an Anlagen mit einer Leistung von über 100 kW gemessen. „Und das sind die wenigsten. Die große Masse der Anlagen ist deutlich kleiner und wird nicht direkt gemessen“, sagt Pienitz: „Die optimale Integration von Solaranlagen ins Stromsystem ist während des Ausbaubooms versäumt worden.“

Selbst für die Messung der Anlagen über 100 kW hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, die sich jetzt als zu kurz gedacht herausstellt: Die Netzbetreiber haben nur das Recht darauf, die Durchschnittseinspeisewerte im Viertelstundenraster abzufragen. Bei der Beherrschung sehr steiler Lastverläufe würden aber die sekundengenauen Ist-Werte viel weiter helfen. Diese werden von den Datenloggern der Anlagen auch meist ermittelt und stehen den Anlagenbetreibern zur Verfügung, nur die Netzbetreiber haben keinen gesicherten Zugriff auf diese Daten.

Verteilnetzbetreiber wie Allgäu Netz in Kempten oder EWE-Netz in Oldenburg schließen ihre Kenntnislücken über die Stromproduktion kleinerer Solaranlagen, indem sie Referenz-Anlagen in ihrem Netz auswählen, deren Einspeiseleistung messen und die Ergebnisse auf alle Anlagen hochrechnen. Im Netzbereich von Allgäu Netz sind dies zum Beispiel 80 Referenzanlagen. „Damit können wir in etwa schätzen, was an Solarstrom kommt“, sagt Pienitz. „Auf Basis der Referenzanlagen können wir die tatsächliche Einspeiseleistung hochrechnen“, sagt ein EWE-Sprecher.

Diese Daten werden von den Verteilnetzbetreibern aber nicht an die Übertragungsnetzbetreiber weitergegeben. Diese erhalten nur die Leistungswerte der installierten Anlagen. Fachleute weisen darauf hin, dass mit zusätzlichen Informationen über die Anlagen, beispielsweise über Himmelsrichtung und Neigung, die Präzision von Hochrechnung der tatsächlichen Leistung zu bestimmten Tageszeiten verbessert werden könnte. Die Übertragungsnetzbetreiber nutzen auch eigene Referenzanlagen, um die tatsächliche Solareinspeisung hochzurechnen.

Der Solartechnikhersteller SMA ermittelt die aktuelle Solareinspeisung in Deutschland auf der Basis von 30 000 online gemessenen Anlagen. Fachleute halten diese Daten wegen der hohen Zahl der Messstellen für sehr präzise. Die aktuellen Werte finden sich im Internet unter www.sma.de/unternehmen/pv-leistung-in-deutschland.html

Auch bei der Fernsteuerbarkeit hinkt die Solarenergie deutlich hinter anderen Erzeugungstechniken zurück. Sollten beispielsweise am 20. März die Übertragungsnetzbetreiber feststellen, dass am späten Vormittag plötzlich zu viel Solarstrom ins Netz schießt, können Sie nur Photovoltaik-Anlagen mit einer Leistung von mehr als 30 kW abschalten. Bezogen auf das Gebiet von EWE Netz heißt das zum Beispiel, dass nur zwei Drittel der tatsächlichen Solarleistung im Notfall per Fernsteuerung abgeschaltet werden können. Über das verbleibende Drittel, die kleinen Anlagen, haben die Netzbetreiber keine Kontrolle.

Timm Krägenow

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