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Woste: „Um jeden Keller und um jedes Dach unserer Kunden kämpfen“

Ewald Woste, Vorsitzender des Vorstandes der Thüga AG, sieht im reinen Verkaufen von Kilowattstunden keine Zukunft für Stadtwerke.
E&M: Herr Woste, nach dem furiosen Populismus-Wahlkampf der Landesregierung gegen neue Stromleitungen in Bayern: Werden die neuen Leitungen kommen?

Woste: Das Ausmaß an Protestplakaten an der Strecke ist schon beeindruckend. Es ist klar, dass bei diesem Prozess die Menschen mitgenommen werden müssen, um sie nicht für die Energiewende zu verlieren. Ich gehe davon aus, dass die nötigen Leitungen gebaut werden. Sie werden möglicherweise anders heißen und auch anders verlaufen, aber sie werden kommen. Der Leitungsausbau wird einen Großteil der Knappheiten in Süddeutschland lösen, die derzeit ja vor allem durch Netzengpässe entstehen. Ein wirkliches Kapazitätsproblem sehe ich vor allem in Baden-Württemberg, wo die großen Lasten der Industrie auch nach Abschaltung der Kernkraftwerke gedeckt werden müssen.

E&M: Politik und Branche wollen jetzt diskutieren, ob es neue Zahlungen für das Vorhalten von Kraftwerken geben soll, um Knappheiten zu vermeiden.

Woste: Die Debatte um Kapazitätsmärkte wird nach der Sommerpause starten. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob die Politik das unter Kapazitätsmärkten versteht, was die Branche diskutiert hat: nämlich einen bundesweiten Markt für gesicherte Leistung. Die Politik wird möglicherweise erstmal nur an die Subventionierung von einigen Kraftwerksneubauten denken, die jetzt in Süddeutschland gebraucht werden. Und ein Teil der Politik wird möglicherweise den Rest der Branche ihrem Schicksal überlassen wollen. Ich erwarte sehr heftige Diskussionen. Nordrhein-Westfalen wird sie antreiben, weil dort die Energieunternehmen unter dem höchsten Druck stehen.

E&M: Manche Unternehmen aus NRW fordern ja schon, dass sich die Höhe der Zahlungen an einzelne Kraftwerksbetreiber nach deren Schuldenlast und dem Standort richten soll.

Woste: Ich fürchte, dass niemand bereit sein wird, einzelnen Versorgern mit Zahlungen aus ihrer misslichen Lage zu helfen. Viele Unternehmen, die jetzt Schwierigkeiten haben, haben noch vor wenigen Jahren die Entscheidung getroffen, massiv in neue Kraftwerke zu investieren. Dies war politisch gewollt und wurde auch massiv gefordert. Wir bei der Thüga haben uns damals den Markt angesehen und unsere Fundamentalanalyse ging mittelfristig von sinkenden Börsenpreisen aus, so dass wir von Investitionen in konventionelle Kraftwerke abgesehen haben. Wir mussten dafür damals einige Kritik einstecken. Das ist aber einer der wesentlichen Gründe, warum die Thüga heute ein wirtschaftlich kerngesundes Unternehmen ist. Ich glaube nicht, dass die Öffentlichkeit dafür zu gewinnen ist, jetzt die Unternehmen von den wirtschaftlichen Folgen ihrer Investitionen zu entlasten. Vielleicht gibt es Möglichkeiten, den betroffenen Kommunen über die Krise hinwegzuhelfen, beispielsweise beim steuerlichen Querverbund. Das muss man prüfen.

„Wer noch lange lamentiert, dass sein altes Geschäftsmodell weg ist, verliert nur Zeit“

E&M: Wie geht es weiter mit der Energiewirtschaft?

Woste: Wir müssen zurück zu den Wurzeln und zu Unternehmern werden, die bereit sind, um ihren Marktanteil zu kämpfen. Wir müssen um jeden Keller und um jedes Dach unserer Kunden kämpfen. Das gilt genau so für Eon wie für jedes Stadtwerk. Und wenn einer kommt, der es besser kann, dann sind wir aus dem Geschäft raus. So ist das Leben. Vor 22 Jahren habe ich Gas-Hausanschlüsse verkauft. Da waren wir im scharfen Wettbewerb mit Öl als Heizenergie. Wir haben Kunden in die Hinterzimmer von Gaststätten eingeladen und denen Hausanschlüsse verkauft. Damals haben wir gedacht, die Stromer verdienen ihr Geld im Schlaf. Die schicken eine Rechnung und dann kommt das Geld. Diesen Wettbewerb mit neuen Anbietern anzunehmen, das ist die große Herausforderung für unsere Branche. Ich bin mal gespannt, wie wir das hinbekommen.
 

Ewald Woste: „Ich fürchte, dass niemand bereit sein wird, einzelnen Versorgern mit Zahlungen aus ihrer misslichen Lage zu helfen.“
Bild: Martin Leissl

E&M: Wird der Verkauf von Strom und Gas weiter das Hauptgeschäft ausmachen?

Woste: Das reine Verkaufen von Kilowattstunden wird für viele Stadtwerke in Zukunft voraussichtlich viel zu risikoreich sein. Wenn man sieht, wie groß die Volatilitäten und Risiken und wie klein im Vergleich dazu die Margen sind, dann spricht vieles dafür, sich aus diesem Geschäft rauszuhalten. Wir lassen gerade durchrechnen, ob es sich lohnt, als Stadtwerk den Endkunden Photovoltaik aufs Dach und einen Speicher in den Keller zu stellen. Da kann ich nur sagen: Bleistift nehmen und durchrechnen, ob es geht. Oder von einem Gewerbebetrieb das Dach pachten, Photovoltaik drauf, Speicher in den Keller und als Stadtwerk die ganze Einbindung der Erneuerbaren in den Markt managen. Wer noch lange lamentiert, dass sein altes Geschäftsmodell weg ist, verliert nur Zeit.

E&M: Welche Bedeutung haben in Zukunft die Netze?

Woste: Ich glaube, dass das Unbundling in den Verteilnetzen ein großer Fehler gewesen ist. Der Verteilnetzbetreiber muss derjenige sein, der Lasten und Leistung managt und schaut, wo der Zubau von Speichern nötig oder der Zubau von Sonne- und Windenergie sinnvoll ist. Die derzeitige strikte Trennung von Vertrieb und Netz macht keinen Sinn. Wir werden eine Renaissance der technischen Vertriebe erleben, die ausgehend von den Netzen Produkte und Dienstleistungen entwickeln, um den Ausgleich von Stromangebot und -nachfrage zu bewerkstelligen und die Netzinfrastruktur intelligent zu nutzen. Das finde ich einen ungeheuer spannenden Prozess. Wenn die Netzbetreiber es nicht selber machen oder machen dürfen, dann werden das Dienstleister machen.

E&M: Welche Rolle spielt da das neue, von der Branche vorgeschlagene Marktdesign?

Woste: Der Kern des Vorschlags ist, dass das Vorhalten von elektrischer Leistung einen Wert bekommt. Derzeit gaukelt der Energy-only-Markt den Produzenten und Kunden vor, dass das Vorhalten von Leistung nichts kostet. Das ist falsch. Das Vorhalten kostet, und diese Kosten sollen von den Kunden getragen werden, die dieses Vorhalten von Leistung in Anspruch nehmen. Ich muss sagen, dass ich stolz bin auf die Kollegen bei der Thüga, die gemeinsam mit externer Hilfe dieses sehr stringente Modell erdacht haben. Und es ist ein Erfolg, dass sich der VKU und der BDEW auf dieses sehr marktwirtschaftliche Modell verständigt haben. Wenn wir es nicht schaffen, Arbeit und Leistung wieder getrennt zu bepreisen, dann läuft die Energiewirtschaft gegen die Wand. Eine stärkere Bepreisung der Leistung brauchen wir übrigens auch bei den Netzentgelten, weil sich sonst Eigenversorger der Solidargemeinschaft entziehen, die die Netze finanziert.

E&M: Wie würde Ihr Marktdesign die Rahmenbedingungen für die Unternehmen verändern?

Woste: In dem von uns vorgeschlagenen Leistungsmarkt wird sich jeder Kunde fragen, wie viel Leistung brauche ich das ganze Jahr über garantiert, oder kann ich beispielsweise durch kleine Änderungen an meinen Abläufen den Bedarf an Leistung in den Stunden, in denen die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, senken. Für die Stadtwerke und Versorger wird hier ein neues Geschäftsfeld entstehen, nämlich den Kunden beim Managen ihres Leistungsbedarfs zu helfen. Wer aber glaubt, dass unser Modell jetzt den Kraftwerksbetreibern aus der Patsche hilft, der irrt. Bei dem derzeitigen bundesweiten Überkapazitäten wird der Leistungspreis erstmal nahe null sein. Bevor er steigt, müssen zunächst die Überkapazitäten stillgelegt werden.

E&M: Werden die Kommunen und Stadtwerke genügend Geld haben, um alle Investitionen aus eigener Hand zu stemmen, oder werden sie auch privates Kapital an Bord holen?

Woste: Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass sich diese Strukturen für privates Kapital öffnen werden. Derzeit rekommunalisieren viele Städte und Gemeinde ihre Netze. Der nächste Schritt wird sein, dass sie sich fragen, woher sie das Kapital bekommen, um die nötigen Investitionen zu stemmen. Und dann werden private und institutionelle Investoren kommen und das Geld bringen. Das Thüga-Modell wird zurückkommen: Die Kommunalen werden sagen, wir wollen die Mehrheit behalten, aber 49 Prozent geben wir an einen Investor ab. Jedes private Unternehmen wie RWE oder Eon hat es früher abgelehnt, eine Minderheitsbeteiligung an kommunalen Unternehmen einzugehen. Heute tingeln viele durch die Lande und sagen, ihr könnt gerne die Mehrheit haben, wir gehen mit Minderheit rein. Und die Kommunen werden sagen, wir unterlegen gerne unsere Infrastruktur mit privatem Kapital, denn anders sind diese hohen Investitionslasten gar nicht in den Griff zu bekommen.

Ewald Woste
Der Diplomkaufmann, Jahrgang 1960, hat sich in der Energiewirtschaft hochgearbeitet: 1992 Prokurist der Stadtwerke Paderborn, 1998 Mitglied der Geschäftsführung der Städtischen Werke Nürnberg, 2000 Mitglied des Vorstandes der N-Ergie in Nürnberg, 2004 Vorstandsvorsitzender der Mainova in Frankfurt am Main, 2007 schließlich Vorsitzender des Vorstandes der Thüga AG in München. Seit Juli 2010 war Woste zusätzlich Präsident des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in Berlin – eine Funktion, für die er im Juni nicht zur Wiederwahl angetreten ist.

Timm Krägenow

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