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Verschiedene Ansätze für die Dekarbonisierung

Die EU-Staaten haben unterschiedliche Dekarbonisierungsstrategien, einige setzen aber als Zwischenlösung stark auf Erdgas, wie sich der Tagung des Weltenergierates in Berlin zeigte.
Die Niederlande und Italien steigen aus der Kohle aus und haben sich wie einige weitere europäische Länder bei der jüngsten Weltklimakonferenz in Bonn der von Kanada, Großbritannien und den Marshall-Inseln initiierten „Powering past coal-Alliance“ angeschlossen. „Wir wollen 2025 Kohle-frei sein und legen dafür 8 000 MW Kohlekapazität still“, berichtete Marco Magheri, Vorsitzender des Weltenergierates in Italien und stellvertretender Direktor für institutionelle Angelegenheiten bei Edison beim Energietag des Weltenergierates in Berlin.

Italien mit Erdgas und Erneuerbaren

Im Stromsektor will Italien, wo sich in einer Volksabstimmung 2011 mit 94 % fast die gesamte Bevölkerung gegen eine Wiedereinführung der Kernenergie ausgesprochen hatte, den CO2-Ausstoß bis 2030 um knapp zwei Drittel reduzieren. Eine tragende Rolle dabei spiele neben dem Erneuerbaren-Ausbau das Erdgas, so Magheri. Erdgas sei auch ein wichtiger Hebel, um den Verkehrssektor zu dekarbonisieren. Italien sieht sich für die Versorgung durch gute Beziehungen zu den Lieferländern gut aufgestellt. Allerdings seien Investitionen in die Verbesserung der Infrastruktur nötig. Die Insel Sardinien etwa sei überhaupt nicht an das Leitungsnetz angeschlossen, erläutert Magheri.

Italien war übrigens, was er nicht erwähnte, überraschender Sieger des G20-Klimaschutz-Index von Germanwatch und New Climate Institute. „Hauptfaktoren waren der Abwärtstrend der Pro-Kopf-Emissionen in den vergangenen fünf Jahren und eine starke Zunahme der erneuerbaren Energien um mehr als 50 % von 2010 bis 2014“, hieß es dazu. Italien komme damit von allen G20-Staaten dem Anstieg grüner Energien am nächsten, der für das Erreichen der Pariser Klimaziele nötig wäre. Zwar war der Zubau von Erneuerbaren nach 2014 eingebrochen, doch werden, wie Magheri betont, in diesem Jahr 17 Mrd. Euro in erneuerbare Energien investiert.

Der Italiener ist sich mit BDEW-Hauptgeschäftsführer Stefan Kapferer einig: „Erdgas ist der richtige Partner für die Energiewende.“ Kapferer verweist auf die zu geringen Investitionsanreize für Gaskraftwerke durch die niedrigen Strom-Großhandelspreise. „Einer unserer Fehler in den vergangenen Jahren war es, auf zu viele Ziele gleichzeitig zu setzen“, sagt er. Man habe sich in Deutschland beim Klimaschutz zu sehr auf die erneuerbaren Energien fokussiert. „Es wäre billiger gewesen, zunächst die ‚low hanging fruits‘ zu ernten und die fünf Millionen Ölheizungen auszutauschen.

UK und Frankreich setzen auf Atomkraft

Auch Tim Figueres, Berater des britischen Energieministers, betont die Bedeutung der Diversifizierung. Eine Chance für die Gewinnung von shale-Gas sieht er derzeit in seinem Land nicht. „Vor einigen Jahren gab es großen Druck, es zu entwickeln, aber die Strompreise sprechen dagegen“, sagt er. Zudem verweigere die schottische Regionalregierung ihre Unterstützung dafür. Großbritannien, das aus der Kohle aussteigt, setze für die Grundlastversorgung auf die Kernenergie, so Figueres. Die von der EU-Kommission abgesegnete auf 20 Jahre garantierte Einspeisevergütung, die rund das Doppelte der aktuellen Tarife für Wind- oder Solarenergie beträgt, will er nicht als „Subvention“ bezeichnet sehen.

Auch in Frankreich spiele die Atomkraft eine wichtige Rolle bei der Dekarbonisierung, sagt Jean Eudes Moncomble, dortiger Generalsekretär des Weltenergierates. Erst kürzlich hatte die Regierung angekündigt, die für 2025 vorgesehene Verringerung des Kernenergie-Anteils von rund 75 auf 50 % wegen des Klimaschutzes um einige Jahre zu verschieben. Allerdings will der für die Energiewende zuständige Minister Nicolas Hulot im kommenden Jahr einen Plan vorlegen, weil sich Störfälle in den zumeist in die Jahre gekommenen Meilern häufen. Erdgas ist für Frankreich kein großes Thema, weil dort vorwiegend mit Strom geheizt wird.

Die Niederlande wollen aus dem Erdgas aussteigen

Immer noch positiv überrascht zeigt sich die Wissenschaftlerin Coby van der Linde, Direktorin des Clingendael International Energy Programme, von den ambitionierten Zielen der neuen niederländischen Regierung, die aus vier Parteien besteht. Diese vereinbarten in ihrem Koalitionsvertrag, bis 2030 alle existierenden Kohlekraftwerke der Niederlande stillzulegen – obwohl drei der insgesamt fünf Kohlekraftwerke noch neueren Datums sind. Zudem wurde ein CO2-Mindestpreis eingeführt. Die CO2-Emissionen des Landes sollen bis 2030 um fast die Hälfte gesenkt werden.

Zwar wird in den Niederlanden noch viel Öl, insbesondere im Verkehrssektor, genutzt. Doch heizen nach Angaben Cobys 99 % der Haushalte mit Erdgas, sind doch die Niederlande selbst Gasförder- und Exportland. Es gab dort durch die Gasförderung auch bereits einige Erdbeben. Zudem wird auch Gas importiert. Deshalb seien die Niederlande auch direkt vom Brexit betroffen. „Es geht nicht nur um Elektrifizierung“, betont van der Linde, vielmehr arbeite man daran, das Erdgas durch „low carbon“ Gase zu ersetzen.

„Wir versuchen, vom Erdgas wegzukommen, während andere erst dabei sind, darauf umzusteigen.“ Dabei liege der Fokus stark auf Biogas, insbesondere für die Industrie brauche man aber auch andere Gase und „Liquids“. Eine große Herausforderung stellt für die Niederlande der Raffineriekomplex in Rotterdam dar. „Wir exportieren auch Ölprodukte“, so van der Linde. Man wolle nicht, dass diese Industrie ins Ausland abwandert. Deshalb setze man auch auf CCS als Zwischenlösung.

Angelika Nikionok-Ehrlich

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