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Unterirdisch und mit höchster Spannung

Unsichtbar im Boden verlegte Kabel sollen das Stromübertragungsnetz fit für erneuerbare Energien machen. Dabei sind die Erfahrungen mit Höchstspannungskabeln bislang begrenzt.
Der Bau mehrerer leistungsstarker Übertragungsverbindungen für den Transport von grünem Strom aus dem windreichen Norden zu großen Verbrauchern im Süden ist eine der heikelsten Aufgaben der Energiewende. Nachdem Freileitungen auf Monstermasten, wie es die Gegenpropaganda formulierte, auf massiven Widerstand bei der Bevölkerung stießen, sollen nun im Boden verbuddelte Kabel die Lösung bringen. Die spannende Frage bleibt, ob es so gelingt, mehr Akzeptanz für die Stromautobahnen zu erreichen und den Netzausbau im Zeitplan zu halten.
Einer der vier mit dem Bau der Stromautobahnen betrauten Übertragungsnetzbetreiber, die in Nord- und Ostdeutschland tätige 50 Hertz Transmission GmbH, kann in die weiteren Diskussionen bereits langjährige Erfahrungen mit Kabeln auf der Höchstspannungsebene einbringen. Und Olivier Feix, Leiter des Bereichs Genehmigungen und Naturschutz bei 50 Hertz, ist zuversichtlich, dass die Entscheidung für die Verkabelung Schwung in den Netzausbau bringt. „Es war wichtig, der Bevölkerung zu vermitteln, dass man über Alternativen reden kann“, sagt er. Das habe dazu beigetragen, „dass wir beim Thema Akzeptanz für den Netzausbau Fortschritte gemacht haben“.
 
Olivier Feix hofft, dass die Verkabelung Schwung in den Netzausbau bringt
Bild: 50 Hertz/Jan Pauls

Die Kabelerfahrungen des Unternehmens in Berlin sind positiv. „Die Verkabelung ist zwar nicht der Königsweg, der alle Probleme löst, aber für einen dicht besiedelten Raum eine gute Lösung“, bringt es Feix auf den Punkt. In der Hauptstadt betreibt 50 Hertz eine 23 Kilometer lange 380-kV-Kabeldiagonale quer durch die City. Die weitgehend unterirdisch verlaufende Höchstspannungsleitung verbindet die Umspannwerke Teufelsbruch im Westen und Marzahn am Ostrand Berlins. Ein in den 1970er-Jahren gebauter Teilabschnitt kommt allmählich in die Jahre und muss deshalb erneuert werden.

Womit Kabel in der aktuellen Netzausbaudiskussion punkten, ist klar. Die damit belegten Trassen beeinträchtigen das Landschaftsbild weniger stark als Freileitungen. Das beruhigt Anwohner. „Kabel bleiben aber dennoch nicht ohne Konsequenzen“, gibt Feix zu bedenken. Auch sie bedeuten einen erheblichen Eingriff in die Umwelt.

Auch Kabel schlagen Schneisen in den Wald

So müsse auf Strecken durch den Wald eine bis zu 20 Meter breite Schneise freibleiben, auf der keine Bäume gepflanzt werden dürfen, weil deren Wurzeln das Kabel schädigen könnten. Die landwirtschaftliche Nutzung des Bodens über dem Kabel sei nach der Bauphase zwar wieder möglich, die Wärmeentwicklung und der Wasserhaushalt müssten aber genau untersucht werden.

„Wir nehmen bereits wahr, dass sich Bauern Sorgen machen, ein Kabel könne Äcker zu stark beeinträchtigen“, berichtet der Manager über Gespräche zur Trassenplanung für die 530 Kilometer lange Stromautobahn Südostlink, die zur Hälfte auf 50 Hertz-Gebiet verläuft.

Manche Gemeinden hätten bereits den Wunsch geäußert, den Südostlink auf ihrer Gemarkung als Freileitung zu bauen. „Damit hatten wir zwar abschnittsweise gerechnet, aber nicht in diesem Umfang“, berichtet Feix. „Bei diesen Projekten wird das Kabel aber die Regel sein und die Freileitung die Ausnahme.“ Ein mehrfacher Wechsel von einem zum anderen System sei weder technisch noch ökologisch oder ökonomisch sinnvoll.
 

Moderne Höchstspannungskabel sind technisch komplexe Konstrukte
Bild: 50 Hertz

Zu „signifikanten Mehrkosten“ werde die Verkabelung auf jeden Fall führen, das lasse sich nicht wegdiskutieren, so Feix. Während ein Kilometer Höchstspannungsfreileitung heute etwa 1,3 Mio. Euro koste, müsse man für ein gleichwertiges Kabel mit vier- bis sechsmal so hohen Investitionen rechnen, also mit 5,2 bis 7,8 Mio. Euro pro Kilometer Leitung.

Fast die Hälfte davon entfalle auf die Verlege- und Tiefbauarbeiten. Ein steiniger Boden, die Unterquerung von Autobahnen, Eisenbahnstrecken und Gewässer oder die Wiederherstellung landwirtschaftlich genutzter Böden mache die Verkabelung kostspielig. Für den Südostlink werden etwa 5 Mrd. Euro Gesamtinvestitionen veranschlagt, etwa die Hälfte entfällt auf 50 Hertz.

Verbindungsmuffen im Kilometerabstand

Bezüglich der Betriebskosten stünden beim Kabel erhöhte Reparatur- und Ausfallkosten dem Vorteil geringerer Übertragungsverluste gegenüber, ergänzt Feix. Ersteres hänge damit zusammen, dass im Kilometerabstand Muffenverbindungen notwendig sind, weil Kabelabschnitte aus Gewichtsgründen nicht länger als ein Kilometer lang sein dürfen, damit man sie noch auf Lastwagen zur Baustelle transportieren kann. „Muffen sind heute aber die Schwachstellen jedes Kabelsystems“, sagt er.

Schlechter als Freileitungen schneiden Kabel auch im Hinblick auf die Lebensdauer ab. Der ältere Teil der Kabeldiagonale in Berlin wird am Ende etwa 50 Jahre gehalten haben, eine Freileitung hält demgegenüber 80 Jahre.
Doch 50 Hertz setzt in diesem Punkt wie auch bei den Ausfallzeiten auf technische Verbesserungen. „Wir hoffen, dass wir mit modernen Kabeln und Muffen in Richtung 97 Prozent Verfügbarkeit kommen“, so der Bereichsleiter. Die erneuerungsbedürftige Kabeldiagonale durch die Hauptstadt dagegen, die schon einmal mehrere Wochen wegen eines Schadens außer Betrieb war, kommt nur auf 93 Prozent, was einer jährlichen Ausfallzeit von gut 600 Stunden entspricht. Bei Freileitungen erreicht das Unternehmen eine Verfügbarkeit von 99,8 Prozent.
Freileitungen könnten nach einem Sturmschaden schnell wieder repariert werden, Kabelreparaturen dagegen seien viel zeitaufwendiger, weil die Schadstellen erst zugänglich gemacht werden müssten, erläutert Feix den Unterschied. Die Erfahrung zeige, dass bei Kabeln „längere Ausfälle ins Kalkül gezogen werden müssen“.

Modernes Material wird auch bei der anstehenden Erneuerung der Berliner Kabeldiagonale, dem nächsten großen Kabelprojekt von 50 Hertz, zum Einsatz kommen. Auf einem sieben Kilometer langen Abschnitt im Westteil der Stadt soll das störanfällige erdverlegte Kabelsystem durch kunststoffisolierte Hochleistungskabel in einem Tunnel ersetzt werden. Im Ostteil Berlins ist die Kabeldiagonale auf 11,5 Kilometern bereits so verlegt. Die Investitionen werden auf rund 250 Mio. Euro veranschlagt.

Mit modernen Systemen zu höherer Übertragungskapazität

Damit erhöht sich nicht nur die Verfügbarkeit, auch die Übertragungskapazität wird um etwa 60 Prozent auf 1 600 MW gesteigert. Und das ist dringend nötig. „Denn wir brauchen nicht nur wegen des starken Bevölkerungswachstums höhere Übertragungskapazitäten, sondern auch, um mehr grünen Strom aus Brandenburg in die Stadt zu bringen“, bekräftigt Feix.

Der Tunnel wird wie eine U-Bahn mit einer Vortriebsbohrmaschine gebaut, der neue Abschnitt soll zwischen 2022 und Ende 2024 gebohrt werden. Danach sind zwei Jahre für den Kabeleinbau vorgesehen. Mit der Inbetriebnahme rechnet 50 Hertz zwischen 2026 und 2028.

Parallel dazu will der Netzbetreiber bis 2025 auch seinen Teil des Gleichstromprojekts Südostlink in Ostdeutschland fertiggestellt haben. Im Unterschied zur Kabeldiagonale in der Hauptstadt, die ein Wechselstromsystem ist, wird die Stromautobahn in Gleichstromtechnik gebaut. Das ist auch für 50 Hertz noch relatives Neuland.

Doch auch auf diesem Sektor verbreitere sich das Angebot, weiß Feix. Vier bis fünf Anbieter in Europa und Asien erwartet er auf dem Markt der gefragten Höchstspannungskabel in 525-kV-Technik. Wie gut sie sind, will der Netzbetreiber ab 2018 in ersten Markttests ergründen.

„Wenn dann in einigen Jahren auf einen Schlag Kabel für mehrere Tausend Kilometer Leitungen gebraucht werden, könnte es spannend werden“, mutmaßt Feix. Die Fabriken für einen solchen Bedarf gebe es noch nicht. Doch er ist zuversichtlich, dass die Hersteller sich darauf einrichten. Das sei auch gut so. „Denn beim Netzausbau noch einmal drei Jahre zu verlieren, können wir uns nicht mehr leisten“, meint er abschließend.

Peter Focht

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