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Sonnenfinsternis: ÜNB zögern mit dem letzten Trumpf

Ob die Sonnenfinsternis am 20. März zur Herausforderung für die Netzbetreiber wird, hängt vor allem vom Wetter ab. Durch Abschaltung von Solaranlagen ließe sich das Problem einfach begrenzen.
Die Vorbereitungen auf die Sonnenfinsternis am 20. März laufen bei den deutschen Übertragungsnetzbetreibern auf Hochtouren. Um auf das voraussichtlich starke Ab und Auf bei der Solareinspeisung an diesem Tag vorbereitet zu sein, wollen die Netzbetreiber mehr Regelenergie – Minutenreserveleistung und Sekundärregelleistung – beschaffen. Entsprechende Gespräche mit den Anbietern seien schon geführt worden, teilten die vier deutschen ÜNB am 23. Februar in einer Pressemitteilung mit. Außerdem wurden die Mitarbeiter in den Netzleitstellen und Schaltwarten für diese Situation besonders geschult. Zusätzlich werden die Warten an diesem kritischen Vormittag stärker besetzt. In den Reihen der Übertragungsnetzbetreiber war nach Informationen von E&M powernews in den vergangenen Monaten auch erwogen worden, die Unberechenbarkeit der Solareinspeisung am Beginn und am Ende der Sonnenfinsternis dadurch zu senken, dass ein Teil der Solaranlagen einfach per Fernsteuerung abgeschaltet wird. Dadurch würde die Solarstromproduktion in den fraglichen Stunden insgesamt gesenkt und so kalkulierbarer. Die Anwendung dieses teuren, aber sehr sicheren Instruments wird in der aktuellen Presseerklärung noch nicht als mögliche Maßnahme genannt.

Eingespeister Solarstrom muss jederzeit ausgeglichen werden

Ob die Sonnenfinsternis am 20. März eine große Herausforderung für die Stabilität der Stromversorgung in Deutschland und Europa darstellen wird, wird in erster Linie vom Wetter abhängen. Zwischen 9:30 und 12:00 Uhr werden an diesem Tag 82 % der Oberfläche der Sonne abgedeckt sein. Entsprechend geht die Einstrahlung auf die Solaranlagen zurück. In Deutschland sind mittlerweile Anlagen mit einer Spitzenleistung von 39 000 MW installiert.

Bei sehr sonnigem Wetter wird allein in Deutschland die Solareinspeisung ab 9:30 Uhr um 12 GW zurückgehen. Wenn die Sonne am Ende der Sonnenfinsternis wieder komplett zum Vorschein kommt, wird die Solarleistung wegen des dann höheren Sonnenstands innerhalb kurzer Zeit sogar um 19 GW zunehmen. Das entspricht in etwa der Leistung von 19 großen Kernkraftwerken. „Die Herausforderung für die Übertragungsnetzbetreiber besteht darin, dass der an der Strombörse vermarktete PV-Strom während dieser beiden Phasen durch viele flexible Erzeugungsanlagen vollständig ausgeglichen werden muss“, heißt es in der Erklärung der ÜNB.

Leistungszunahme von 4,5 GW je Viertelstunde möglich

Zu den deutschen Solar-Kapazitäten kommen die Photovoltaik-Anlagen in den europäischen Nachbarländern hinzu, vor allem in Frankreich und in Italien. Nach einer Mitteilung des Verbands der europäischen Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E werden bei sonnigem Wetter europaweit innerhalb von zwei Stunden Kapazitäten von 35 GW zunächst vom Netz gehen und wieder zurückkommen – und das alles, „während die Europäer und ihre Büro einen normalen Arbeitstag beginnen“. Der 20. März wird ein Freitag sein.
 

Hochrechnung (schwarz) und simulierte Solarleistung bei Sonnenfinsternis (rot) an einem Sonnentag in Deutschland
Grafik: energy&meteo systems

Nach einer Studie der Oldenburger energy&meteo systems würde an einem bewölkten Tag die Zunahme der Einspeisung in Deutschland nur etwa 4,2 GW betragen und damit deutlich einfacher zu beherrschen sein. Nach den Berechnungen der Prognoeseexperten würde an einem Sonnentag die Einspeisung mit einer Geschwindigkeit von 4,5 GW je Viertelstunde zunehmen, bei geschlossener Bewölkung nur um 1,3 GW je Viertelstunde.

„Zeitlich ist eine Sonnenfinsternis gut vorhersagbar. Man kann sich gut darauf vorbereiten“, sagt energy&meteo-systems Experte Jan Schmelter: „Aber man kann wegen der begrenzten Reichweite der Wetterprognosen jetzt noch nicht sagen, wie viel solare Leistung in den entsprechenden Stunden zu erwarten ist.“ An einem strahlungsarmen Tag werde die Sonnenfinsternis kein großes Problem darstellen. „An einem Tag mit viel Sonne ist die Sonnenfinsternis für die Netzbetreiber herausfordernd, aber nicht sehr herausfordernd“, sagt Schmelter.

Weil die Übertragungsnetzbetreiber keine Online-Daten von allen Einspeisungen und Lasten im Stromnetz haben, müssen sie in den fraglichen Stunden über gute Prognosen verfügen. Dazu gehören auch Abschätzungen, ob bewölkungsbedingt die Solaranlagen am Ende der Sonnenfinsternis mit voller oder gebremster Einspeiseleistung liefern werden.

Timm Krägenow

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