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Riechel: "Wir müssen die Bereitschaft zur Veränderung haben"

Michael Riechel, Vorstandsvorsitzender der Thüga AG, über geplante Änderungen der Unternehmensstruktur, über die Elektrifizierung der Energieversorgung und die Rolle von Erdgas. 
E&M: Herr Riechel, bei der Bilanzpressekonferenz der Thüga zum Geschäftsjahr 2016 haben Sie gesagt, ‚Das Modell der Thüga ist weiterhin ein gutes und stabiles Modell‘. Die Geschäftszahlen spiegeln das auch wider, also einfach weiter so …

Riechel: Könnte man meinen, schließlich fällt unser Resümee zum Geschäftsjahr 2017 ähnlich gut aus, aber ein weiter so wäre dennoch der falsche Weg. Daher geben wir uns ab 1. Januar 2018 eine neue Organisationsstruktur, die auf drei Säulen der Thüga-Strategie ausgerichtet ist: Holding, Beratung und Dienstleistungen. Im Rahmen des Projektes ‚Thüga 2022‘ haben wir diese drei Geschäftsbereiche neu organisiert, um schlanker und leistungsfähiger zu werden.

E&M: Geben Sie bitte ein Beispiel.

Riechel: In der Vergangenheit haben sich angesichts der Liberalisierung und der damit verbundenen veränderten Risikobewertung des Marktes viele Kommunen für einen Kapitalschnitt bei ihren Stadtwerken entschieden und sind eine Partnerschaft mit uns eingegangen. Ziel war es, unsere Beratung und Fachexpertise dem Unternehmen, aber auch dem kommunalen Gesellschafter zur Verfügung zu stellen. Sicherlich haben die Kommunen an der einen oder anderen Stelle auch mit den frei werdenden Mitteln ihre kommunale Haushaltslage entlastet. Im Kern ging es aber immer darum, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu verbessern.
 

Michael Riechel: „Wir werden Sachkosten senken und Personal umschichten“
Bild: E&M

E&M: Und das reicht nicht mehr?

Riechel: Nein, denn auch vor dem Hintergrund der langfristigen Niedrigzinsphase haben Kommunen kein Interesse an einem reinen Kapitalschnitt. Gleichwohl, stellen sich die kommunalen Gesellschafter und die Stadtwerke angesichts der tiefgreifenden Marktveränderungen die Frage, wie es um die Zukunftsperspektive ihres Stadtwerkes bestellt ist.

Unsere Beteiligungen suchen heute nicht nur unseren fachlichen Rat, sondern auch Unterstützung in Form von Dienstleistungs- und Zusammenarbeitsplattformen, um ihr operatives Geschäft abzusichern und neue Geschäftsfelder aufzubauen. Darauf haben wir in den vergangenen Jahren reagiert und mittlerweile arbeiten über 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Plattformgesellschaften der Thüga-Gruppe. Diese bieten ein breites und aufeinander abgestimmtes Dienstleistungsportfolio an. Mit Thüga 2022 haben wir jetzt darauf die Aufbau- und Ablauforganisation der Thüga ausgerichtet.

Wir eröffnen uns somit auch zusätzliche Wachstumschancen, denn ein Großteil der Plattformgesellschaften arbeitet auch für Stadtwerke außerhalb der Gruppe. Hier haben wir die Chance, über die Qualität und Attraktivität unserer Plattformgesellschaften stärker in den Dialog mit den Stadtwerken und Kommunen zu kommen. Das verschafft uns auch die Chance für weiteres Beteiligungswachstum.

E&M: Erst der Honeymoon und dann die eheliche Verbindung?

Riechel: Dort, wo unsere Dienstleistungsgesellschaften mit fachlicher Kompetenz punkten, kommen wir auch leichter in ein Gespräch, welchen weiteren Mehrwert eine Partnerschaft mit der Thüga schaffen könnte. Es ist ja doch so, dass wir in der Vergangenheit Unternehmen, die unsere Dienstleistungen angefragt haben, einen Korb gegeben haben mit dem Hinweis, dass es sich um exklusive Leistungen für unsere Beteiligungsunternehmen handelt. Davon verabschieden wir uns zunehmend. Nehmen Sie die Thüga Smart Service, mit der machen wir 40 Prozent unseres Dienstleistungsgeschäftes, und das Unternehmen gehört mittlerweile zu den führenden Gesellschaften im Markt. Das wollen wir auch in anderen Bereichen wie zum Beispiel bei der IT-Dienstleistung erreichen. Um aber klarzustellen: Wir sind davon überzeugt, dass das Package aus Beteiligung, Beratung und Dienstleistungen den größten Mehrwert für die kommunalen Unternehmen schafft.

E&M: Sie haben mal gesagt, dass es ein Vorteil der Thüga sei, dass sie alle wichtigen Geschäftsfelder besetzt hat: Ist das nicht ein schmaler Grat zwischen Verzettelung und Kompetenzaufbau …

Riechel: Richtig. Und deshalb haben wir gelernt, dass wir nicht für jede einzelne Dienstleistung eine komplette Organisation aufbauen, sondern die in der Gruppe vorhandene Expertise stärker zusammenführen. Um genau das geht es in unserer neuen Struktur. Nach dem Motto ‚Erfolg ist der größte Feind der Veränderung‘ ist bei der bevorstehenden Organisationsveränderung das Entscheidende, dass wir die Veränderungsbereitschaft jedes einzelnen Thüga-Mitarbeiters erreichen.

E&M: Hinter dem Ziel Thüga 2022 stehen doch sicherlich auch konkrete Zahlen …

Riechel: Ich möchte das nicht an Zahlen, sondern an den Zielen festmachen: Wir werden Sachkosten senken, wir werden Personal umschichten, wir werden effizienter. Das wollen wir auch vor dem Hintergrund, dass auf Dauer die Ertragskraft der Stadtwerke und damit auch unsere in den nächsten Jahren weiter unter Druck kommen wird. Rund 60 Prozent unseres Ergebnisses kommen aus dem regulierten Netzgeschäft unserer Beteiligungen, und die Zielrichtung der Anreizregulierung ist allen klar. Der Rest entstammt überwiegend aus dem Vertrieb, und da rechnen wir mit sinkenden Margen und neuen Playern auf dem Markt.

E&M: Das sind wieder die berühmten Amazons und Googles dieser Welt …

Riechel: Nicht nur die, es können auch die großen Energiekonzerne sein, die sich schneller als wir auf die neue Welt einstellen. Wir müssen da sehr aufpassen.

E&M: Weil zum Beispiel der Innogy-Chef Peter Terium ein Büro im Silicon Valley eingerichtet hat, um permanent das Start-up-Geschehen im Energiemarkt zu beobachten?

Riechel: Ich bin mir nicht sicher, ob man dort immer den Stein des Weisen für unsere Branche findet. Bei uns im Land werden dafür auch große Think Tanks geschaffen, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die Herausforderungen in Europa auch mit den hiesigen Ressourcen lösen können: Wir sind ja in Deutschland oder Europa nicht dumm, im Gegenteil. Wir müssen nur die Bereitschaft zur Veränderung haben, neue Ideen nutzen und daraus Geschäftsmodelle entwickeln.

E&M: Die Ihnen vielleicht verhagelt werden durch die Energiepolitik. Bei unserem letzten ausführlichen Gespräch vor etwa einem Jahr haben Sie kritisiert, dass durch die Energiepolitik Investitionsunsicherheit besteht, und auf die Frage, was Sie sich von einer neuen Regierung erhoffen, haben Sie geantwortet, ‚nur, dass es nicht noch schlimmer kommt‘. Das klingt nach Resignation …

Riechel: Ist es aber nicht. Ich habe auch sehr pointiert gesagt, dass ich weniger Ideologie und mehr Fachkompetenz erwarte, und das bei mehr Dialog. Daran hat sich nichts geändert.

Es geht für uns doch wesentlich um die zu klärende Frage: Bedeutet die Energiewende vorrangig, die CO2-Emissionen zu senken – was ich so sehe -, dann sind wir vom Ziel weit entfernt. Wir brauchen Lösungsvielfalt, um das gesteckte Ziel zu erreichen.

Nicht nur als Thüga-Vorstand, sondern auch als DVGW-Präsident bin ich der Überzeugung, dass Gas eine wesentliche Rolle spielen kann, um mittelfristig die Emissionen zu reduzieren. Würden die aktuell im Betrieb befindlichen Braunkohlekraftwerke durch Gaskraftwerke ersetzt, ließen sich 100 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Dafür müssen die Marktvoraussetzungen geschaffen werden.

E&M: Und die sind ein noch unbestimmtes Feld …

Riechel: Richtig. Wir hatten in der Politik bislang vor allem im Wirtschaftsministerium einen von Einzelpersonen bestimmten ideologischen Ansatz, der zum Beispiel mit der Propaganda für eine ‚all electric society‘, also eine Gesellschaft, in der der Strom-, der Wärme- sowie der Mobilitätsmarkt ausschließlich mit erneuerbaren Energien versorgt werden. Das ist schierer Unfug. Wir würden dafür eine installierte Leistung in Wind und PV von rund 500 Gigawatt benötigen.

Zum Vergleich: Die BMU-Leitstudie aus dem Jahr 2011 rechnet zur Umsetzung der Dekarbonisierung des Stromsektors, und zwar ohne Sektorkopplung, mit einer installierten Leistung von 180 Gigawatt. Zusätzlich müssten ja auch die Netze und die Speicherkapazitäten ausgebaut werden. Es macht betriebs- wie volkswirtschaftlich absolut keinen Sinn, wenn dabei die bestehende Gas-Infrastruktur entwertet wird.

E&M: Wie passt das damit zusammen, dass die Thüga ein Treiber für Elektromobilität sein will, und dass man mit grünem Strom – Stichwort wieder all electric society – auch grünes Gas erzeugen kann?

Riechel: Es ist jedenfalls kein Widerspruch. Erstens: Was das Thema Mobilität angeht, glauben wir aus aller Erfahrung, dass der Markt für Erdgasfahrzeuge nicht so wachsen wird wie der durch die politisch motivierte Unterstützung für die Elektrofahrzeuge. Ein solches verbraucht bei einer jährlichen Laufleistung von 15 000 Kilometern so viel Strom wie eine vierköpfige Familie pro Jahr. Und diesen Markt möchten wir natürlich besetzen. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Ja, Gas kann und wird auch grüner werden. Wenn wir sehen, dass uns die Abschaltung von überschüssigem Ökostrom jährlich etwa 800 Millionen Euro kostet, dann wird es bei der Gesamtrechnung natürlich interessant, diesen Strom für Power-to-Gas zu nutzen, um so Gas grüner zu machen.

E&M: Die Deutsche Energie-Agentur propagiert aktuell die ‚Integrierte Energiewende‘, an den Studien dazu ist auch die Thüga beteiligt: Was muss passieren?

Riechel: Wir sind zu unserer Erkenntnisbereicherung an vielen Studien beteiligt und glauben, dass die Energiewende eine komplette Neuausrichtung benötigt: Weg von ideologischen Ansätzen hin zu pragmatischen Lösungen, die positiv sind für die Energieerzeuger genauso wie für die Energieverbraucher. Stadtwerke, deren Investitionen 20 und mehr Jahre Refinanzierungszeiträume haben, benötigen für die nächsten Jahre Planungssicherheit, um CO2-Reduktion, Effizienzsteigerung und Zubau von erneuerbaren Energien in einen wirtschaftlichen Einklang zu bringen.

Die Thüga mit neuen (und alten) Trümpfen
Alt beziehungsweise noch relativ jung an Lebensjahren bleiben die Vorstände der Thüga. An der Spitze steht weiterhin Michael Riechel, zuständig für Unternehmensplanung, Gesellschaftsrecht, Gremien und Personal sowie Öffentlichkeitsarbeit. Sein Stellvertreter im Vorstandsvorsitz bleibt Dr. Matthias Cord mit der neuen Zuständigkeit für alle Fachabteilungen im Bereich Beratung, umfassend die Themen Energiewirtschaft, Technik, Netze, Innovation, IT und energierechtliche Fragestellungen. Der für Finanzen zuständige Vorstand bleibt Dr. Christof Schulte. Der vierte Vorstandsbereich umfasst die Plattformen, über die sämtliche Dienstleistungen für die Tochtergesellschaften abgewickelt werden. Zuständig ist Dr. Gerhard Holtmeier, der im Jahr 2018 die Thüga verlässt.
Wesentlich an den Veränderungen bei der Thüga ist laut Michael Riechel die neue Unternehmensstrategie, wonach alle Geschäftsbereiche klar gegliedert sind in die Sektoren Dienstleistungen, Beratung und Beteiligungsmanagement.

Helmut Sendner

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