Löschel: Ja. Wir müssen nicht drum herum reden, in einigen Bereichen sieht es aber kritisch aus.
E&M: Woran liegt das? An einem Versagen der Politik oder der Akteure?
Löschel: Verantwortung dafür tragen beide Gruppen. Auf der Akteursseite gibt es sicherlich Unternehmen, die bislang zu wenig für die langfristigen Ziele der Energiewende investiert haben. Sie hängen meines Erachtens noch immer viel zu sehr an den alten Energiestrukturen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Politik sich zum Teil schwer tut mit den notwendigen Maßnahmen. Genau solche Maßnahmen wie beispielsweise eine Minderung der Kohleverstromung sind mit schmerzhaften Einschnitten bei den Unternehmen verbunden, was die Politik scheut.
E&M: Das heißt doch, dass die Politik nicht an ihre eigenen Ziele glaubt. Die Meseberger Beschlüsse aus dem Jahr 2007 haben das CO2-Reduktionsziel von 40 Prozent bis zum Jahr 2020 festgelegt, wozu sich alle Bundesregierungen seitdem bekannt haben.
Löschel: Einer Reihe von Maßnahmen, die wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, fehlte einfach die Eingriffstiefe. Ein Beispiel dafür ist die Energieeffizienz: Es ist viel darüber geredet worden, aber Fortschritte hat es kaum gegeben.
E&M: Das Klimaziel für 2020 wird deutlich verfehlt. Was muss passieren, dass nicht auch das nächste für das Jahr 2030 anvisierte Klimaziel wieder verfehlt wird?
Löschel: Wichtig ist, dass wir vor lauter Kurzfristzielen das große Ganze nicht aus den Augen verlieren dürfen. Es gibt unbestrittene Erfolge beim Ausbau der erneuerbaren Energien, die sich positiv auf die Klimabilanz auswirken. Wenig bis überhaupt keine Erfolge gibt es dagegen beim Gebäudebestand und im Mobilitätssektor. Gerade in diesen beiden Bereichen dauert ein Umsteuern aber, kurzfristige Erfolge sind nicht möglich. Dieser Umstand entschuldigt aber nicht die Tatsache, dass in den Sektoren Wärmeversorgung und Mobilität bislang viel zu wenig passiert ist. Der Klimaschutzplan hat genau für diese beiden Sektoren neue Reduktionsziele festgesetzt, aber es bleibt bis heute unklar, mit welchen Maßnahmen die Einsparungen erreicht werden sollen.
E&M: Das wirft Ihre Kommission im jüngsten Monitoringbericht der Bundesregierung vor.
Löschel: Das Maßnahmenpaket soll im Jahr 2018 vorgestellt werden. Es gibt allerdings kaum Diskussionen um diese Maßnahmen und die langfristigen Ziele. Stattdessen streiten sich die politischen Parteien seit Wochen darüber, ob drei, fünf oder sieben Gigawatt Kohlekraftwerksleistung vom Netz gehen muss. Das ist zu kurzfristig gedacht. Wir brauchen für das 2020er-Ziel eigentlich keine Punktlandung, wenn es Signale gäbe, dass wir auf dem richtigen Pfad für das Langfristziel sind. Diese Signale bleiben leider aus, weil es viel zu viele große Baustellen gibt.
„Es gibt zu viele große Baustellen“
E&M: Die da heißen Wärmeversorgung, Mobilität oder Effizienz. Oder?
Löschel: Genau.
E&M: Schauen wir uns den Verkehrssektor an. Laut Klimaschutzplan soll es in diesem Bereich bis 2030 eine CO2-Reduktion von 40 bis 42 Prozent geben. Wie realistisch ist das denn, bitte schön? Welche Maßnahmen müssen in Ihren Augen angepackt werden, damit sich überhaupt etwas im Verkehrssektor bewegt?
Löschel: Sicherlich gibt es dirigistische Maßnahmen wie Fahrverbote oder Tempolimits. Wichtig ist uns aber, dass über zusätzliche Instrumente nachgedacht wird. Dabei denke ich unter anderem an die Integration des Verkehrssektors in den Emissionshandel. Damit bekämen wir beim CO2-Ausstoß wirklich eine langfristige Mengenbegrenzung hin. Die Regulierung über Grenzwerte beim CO2-Ausstoß hat den Anstieg der Emissionen jedenfalls nicht begrenzen können. Es fehlen einfach die richtigen langfristigen Anreize.
Andreas Löschel: „Wir brauchen für die weitere Klimapolitik wirklich einen großen Wurf“ Bild: Universität Münster |
E&M: 4 000 Euro Prämie für ein neues Elektroauto ist anscheinend auch kein richtiger Anreiz …
Löschel: Die Elektromobilität ist doch nur ein einzelner Baustein, um die Probleme im Verkehrssektor zu lösen. Angepackt werden muss auch das Stauproblem, der Verkehrslärm, zu hohe Feinstaub- und Stickoxidwerte. Wir brauchen umfassende Lösungen für diese Probleme, und nicht nur ein Kleinklein mit kurzfristigen Maßnahmen. Eine streckenabhängige Maut wäre ein solcher großer Wurf.
E&M: Hält die nächste Bundesregierung nicht auch eine große Chance in Händen, mit einer CO2-Bepreisung der Energiewende zu neuem Schwung zu verhelfen?
Löschel: In der Tat kann die CO2-Bepreisung der Energiewende nur gut tun. Die künftige Bundesregierung hat hier eine historische Chance für einen regulatorischen Rahmen, bei dem jedermann klar ist, dass konventionelle Energien nur noch teurer werden können, wenn wir unsere Energiewendeziele ernst nehmen. Wir brauchen dieses Preissignal, da ansonsten der schrittweise Ausstieg aus der Kohleverstromung nicht geschafft werden wird. Eine CO2-Bepreisung könnte auch dem Wärmesektor helfen, wo wir auch kaum vorangekommen sind. Die kommende Bundesregierung hat meines Erachtens in der Tat eine historische Chance: Sie hält ein Instrument in Händen, mit dem sie die Probleme von gleich zwei Sektoren lösen kann. Wir brauchen für die weitere Klimapolitik wirklich einen großen Wurf, der verbunden mit einer Reform des heutigen Abgaben- und Umlagensystems sein muss. Dafür bedarf es aber auf Seiten der Politik eines ausgeprägten Gestaltungswillens.
„Macrons Vorschlag nicht einfach abweisen“
E&M: Sollte die künftige Bundesregierung nicht den Vorschlag von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aufgreifen, der sich für einen CO2-Preis von 30 Euro pro Tonne stark macht?
Löschel: Dass Macron mit diesem Vorschlag den Atomkraftwerken im eigenen Land helfen will, liegt auf der Hand. Dennoch sollte Berlin Macrons Vorschlag nicht einfach abweisen, Frankreich ist auf europäischer Ebene ein wichtiger Partner. Und je mehr Partner die Bundesregierung auf EU-Ebene für einen Mindestpreis im EU-Emissionshandels gewinnen kann, umso besser. Ich bleibe dabei: Das Instrument einer höheren CO2-Bepreisung ist − der politische Wille vorausgesetzt − schnell umzusetzen und ökonomisch am sinnvollsten für den weiteren Abbau der Treibhausgasemissionen. Bis die eingeleiteten Maßnahmen zur Reform des Emissionshandels wirken und wir wirklich höhere Preise sehen, dürfte ansonsten noch ein Jahrzehnt vergehen. Deshalb ist es umso wichtiger, solche Initiativen aufzugreifen.
E&M: In Deutschland klagen vor allem Wirtschaftsverbände immer wieder über zu hohe Strompreise. In Ihrem jüngsten Monitoringbericht verweisen Sie darauf, dass die bisherigen Vergleichindices auf Basis von Preis pro Kilowattstunde unzureichend sind und stattdessen die Energiepreise per Stückkosten betrachtet werden müssen. Warum?
Löschel: Wir diskutieren Preise in der Regel im internationalen Wettbewerb. Dabei käme niemand auf die Idee, die reine Höhe bei den Lohnkosten zu vergleichen. Deutschland beispielsweise hat recht hohe Löhne, ist dennoch weltweit und in der EU sehr wettbewerbsfähig. Der Grund dafür ist die hohe Produktivität hierzulande. Um wirklich zu einer Vergleichbarkeit der einzelnen Volkswirtschaften zu kommen, werden die Lohnstückkosten angeschaut. Das war der Ausgangspunkt für unsere Idee, uns näher mit den Energiestückkosten zu beschäftigen. Bei dieser Betrachtung steht Deutschland im Vergleich gar nicht so schlecht da, weil wir deutlich produktiver sind als viele andere europäische Volkswirtschaften. Die Strompreise hierzulande sind in den vergangenen Jahren gestiegen, keine Frage. Die Effekte sind aber nicht so dramatisch, wie oft suggeriert wird. Die Wettbewerbsfähigkeit ist nicht verlorengegangen − auch wenn wir die Entwicklungen hier genau beobachten müssen. Die Ampel steht auf gelb.
E&M: Welche drei Maßnahmen muss der für Energiefragen zuständige Minister der nächsten Bundesregierung schnell anpacken und umsetzen, damit sich die heimische Klimabilanz wirklich kurzfristig verbessert?
Löschel: Meine drei Wünsche sind: Es muss einen wesentlich höheren CO2-Preis im Stromsektor geben, der etwa über einen Mindestpreis im europäischen Emissionshandel umgesetzt wird. Das wird die Kohleverstromung rasch reduzieren. Wir brauchen eine Reform der Energiesteuern im Wärmebereich, um endlich zu höheren Energieeinsparungen und niedrigeren Emissionen im Gebäudebereich zu kommen. Auch die steuerliche Förderung für energetische Sanierungen kann einen Beitrag leisten. Beim Verkehr wird es nur langfristige Lösungen geben. Da brauchen wir auch innovative Ansätze. Beispielsweise können wir das vorhandene Mautsystem nutzen, um streckenabhängige Preise zu erheben. Das hilft den Innenstädten und stark befahrenen Strecken. Das wird teuer, wie so vieles im Verkehrssektor.
Zur Person
Professor Andreas Löschel, Jahrgang 1971, zählt zu den bekanntesten Energieökonomen. Der studierte Volkswirt ist seit Sommer 2014 Inhaber des Lehrstuhls für Mikroökonomik mit dem Schwerpunkt Energie- und Ressourcenökonomik an der Universität Münster. Auf dem energiepolitischen Parkett genießt Löschel größten Bekanntheitsgrad, seitdem er seit Herbst 2011 die vierköpfige Expertenkommission der Bundesregierung zum Monitoringprozess „Energie der Zukunft“ als Vorsitzender leitet. Die Kommission hat vor Kurzem ihren fünften Monitoringbericht vorgelegt.