Home » Beratung & Studien » EU-Ministerrat schnürt Reformpaket

EU-Ministerrat schnürt Reformpaket

Die Mitgliedsstaaten der EU halten daran fest, die europäische Energiewirtschaft schrittweise zu modernisieren.
Die Energieminister sprachen sich am Abend des 18. Dezembers für einen moderaten Übergang zur Stromerzeugung aus Wind und Sonne aus. Sie halten an den Klimazielen der EU fest, wollen die Kontrolle über den Elektrizitätsmarkt aber nicht aus der Hand geben.
 
Die Ratsvorsitzende, die estnische Energieministerin Kadri Simson, sprach nach den Beratungen der Energieminister von einem „riesigen Schritt“ vorwärts. Umweltschützer sehen in den Beschlüssen dagegen einen „klimapolitischen Rückschritt“. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Voraussetzungen für die Integration der erneuerbaren Energien verbessert werden.
 
Der Energieministerrat hatte sich zuvor auf vier Texte zur Reform des Energiebinnenmarktes verständigt: die Verordnung und die Richtlinie über den Elektrizitätsbinnenmarkt, die Richtlinie über Energie aus erneuerbaren Quellen und die Governance-Verordnung. Staatssekretär Rainer Baake sagte, die Bundesregierung hätte sich zwar „mehr Markt und mehr Wettbewerb“ gewünscht, könne den Kompromiss aber mittragen.
 
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung um den Elektrizitätsmarkt standen die Kapazitätsmechanismen. Sie sollen dafür sorgen, dass auch bei schwankender Stromproduktion aus Wind und Sonne ein kontinuierliches Mindestangebot sichergestellt ist. Dafür dürfen die Mitgliedsstaaten Kraftwerke subventionieren, damit sie am Netz bleiben. Baake betonte in der Ratsdebatte, die neuen Regeln müssten auch auf die bestehenden Kapazitätsmechanismen angewendet werden: „Eine Beihilfegenehmigung kann nicht davor schützen, das Europarecht anzuwenden.“
 
Auf großen Widerstand vor allem in Osteuropa stieß der Vorschlag der Kommission, nur solche Kraftwerke für Kapazitätsmechanismen zuzulassen, die weniger als 550 Gramm CO2 pro kWh erzeugen. Die meisten Kohlekraftwerke wären damit nicht mehr in Frage gekommen. Nach einer langen Debatte verständigten sich die Minister auf einen Kompromiss mit drei Elementen: Neue Kraftwerke dürfen nach 2025 nur dann an Kapazitätsmechanismen teilnehmen, wenn sie weniger CO2 als 550 Gramm pro kWh oder 700 Kilogramm pro kW Kapazität im Jahr ausstoßen. Damit können zwar Kraftwerke mit einem höheren Wert pro kWh ans Netz, aber nur für kürzere Zeit. Diplomaten sagten am Rande der Beratungen, man gehe davon aus, dass solche Kraftwerke weniger als 1 000 Stunden im Jahr laufen könnten. Fossile Kraftwerke, die schon am Netz sind, dürfen nur noch bis 2030 an Kapazitätsmechanismen teilnehmen und müssen ihre Emissionen ab 2025 um fünf Prozent im Jahr senken. Am Ende votierten neun Staaten gegen diesen Kompromiss, weil sie sich strengere Grenzwerte gewünscht hätten.
 
Weitgehend einig waren sich die Minister darüber, dass die EU beim Management ihrer Elektrizitätsmärkte keine größere Rolle spielen soll als bisher. In Brüssel möchte man die Mitgliedsstaaten aktiver als bisher beim Zuschnitt von Preiszonen „unterstützen“. Noch immer stellen die nationalen Grenzen ein Hindernis für den Stromfluss und den Binnenmarkt dar. Die Kommission will deswegen dafür sorgen, dass mehr Leitungskapazität zwischen den Mitgliedsstaaten zur Verfügung steht. Mehr Kompetenzen erhält sie dafür aber erst, wenn auf nationaler Ebene keine Fortschritte erzielt werden.
 
Die Minister verständigten sich darauf, im Laufe der nächsten Jahre bestimmte Grenzwerte beim Ausbau von Interkonnektoren zu erreichen. Erst wenn diese verfehlt werden, kann die Kommission eingreifen. Damit bleiben Brüssel vorerst die Hände gebunden. Hintergrund ist unter anderem, dass die Kommission in Deutschland zwei Preiszonen für notwendig hält, die Bundesregierung jedoch an einer Zone festhalten will. Deutschland verlangt eine längere Übergangszeit, um die Infrastruktur zwischen Nord- und Süddeutschland auszubauen. Der Ausbau der Leitungsnetze müsse „realistisch und handhabbar“ sein, sagte Baake. Das gelte vor allem für Länder mit vielen Nachbarn wie Deutschland. Die deutschen Netzbetreiber investierten bis 2025 50 Mrd. Euro in den Bau deutscher Stromautobahnen, „auch damit der Strom quer durch Europa fließen kann“.
 
Die Deutschen konnten sich auch damit durchsetzen, dass die Netzgesellschaften Stromspeicher betreiben können, wenn das für die Netzsicherheit notwendig ist. Ob das der Fall ist, sollen die Regulierungsbehörden entscheiden. Grundsätzlich bleibt es jedoch dabei, dass die Netzbetreiber keine eigenen Speicher haben dürfen.
 
Die Verbraucher sollen in der Elektrizitätswirtschaft der Zukunft eine größere und eigenständigere Rolle spielen, auch als Stromerzeuger. Sie dürfen sich zu „Energiegemeinschaften“ zusammenschließen, etwa um selbst erzeugten Strom gemeinsam zu verbrauchen oder ihre Nachfrage zu bündeln.
 
Die Mitgliedsstaaten müssen den Verteilnetzbetreibern die Möglichkeit eröffnen, ihren Kunden eine Echtzeitmessung ihres Verbrauchs (Smart Meter) und „dynamische Preise“ anzubieten. Sie sollen so in die Lage versetzt werden, ihren Verbrauch besser an ein schwankendes Angebot anzupassen. Darin sieht die Kommission auch die Möglichkeit, etwas gegen die „Energiearmut“ zu unternehmen. Manchen Mitgliedsstaaten reicht das allerdings nicht. Viele Verbraucher könnten die Smart Meter nicht bezahlen, hieß es in der Debatte des Rates.
 
Diesen Bedenken will der Rat Rechnung tragen. Grundsätzlich soll die Preisbildung auch auf dem Elektrizitätsmarkt frei sein, die Mitgliedsstaaten können die Endpreise aber unter bestimmten Voraussetzungen befristet regulieren. Erlaubt soll das nur sein, um sozial schwache Haushalte zu schützen.
Tom Weingärtner

About emvg